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“Es ist Eure Wahl” – Ein Kommentar von Ayhan Güneş

Die erste Runde der Präsidentschaftswahl in der Türkei am 14. Mai 2023 ist vorbei, und am 28. Mai steht die Stichwahl bevor. Im Vorfeld dieser Wahlen haben sich zahlreiche führende Politikerinnen und Politiker aus Deutschland deutlich gegen die aktuelle türkische Regierung positioniert und für einen Machtwechsel plädiert. Dieses Eingreifen in den Wahlkampf eines anderen souveränen Landes wirft wichtige Fragen auf und erfordert eine sorgfältige Betrachtung.

Spulen wir kurz zurück: Vor dem eigentlichen Wahldatum wurden türkische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die in Deutschland leben, dazu aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Die Wahlbeteiligung war hoch, und laut den vorläufigen Zahlen der türkischen Wahlbehörde gaben rund 730.000 Personen in Deutschland ihre Stimme ab. Die Wahlbeteiligung bundesweit lag bei etwa 48,8 Prozent.

Nachdem knapp 98 Prozent der Wahlurnen geöffnet wurden, steht laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu fest: Der amtierende Präsident konnte in Deutschland mehr als 65 Prozent der Stimmen für sich verbuchen, was mehr als 460.000 Wahlberechtigten entspricht. Auf den Herausforderer entfielen knapp 33 Prozent der Stimmen.

Das Eingreifen ausländischer Politiker in die Wahlen anderer Länder ist eine kontroverse Angelegenheit. Befürworter argumentieren, dass politische Akteure ihre Meinung frei äußern können sollten, insbesondere wenn es um Menschenrechte, Demokratie oder andere grundlegende Werte geht. Sie könnten behaupten, dass das Eingreifen in den türkischen Wahlkampf eine Möglichkeit für deutsche Politiker war, ihre Unterstützung für Oppositionskandidaten zum Ausdruck zu bringen und sich für ihre politischen Überzeugungen einzusetzen.

Auf der anderen Seite könnten Kritiker argumentieren, dass ausländische Politiker sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes einmischen sollten. Einige könnten dies als Einmischung in die Souveränität und die demokratischen Prozesse des Landes betrachten. Darüber hinaus könnte argumentiert werden, dass das Eingreifen ausländischer Politiker die innenpolitische Dynamik und den Wahlprozess eines Landes beeinflussen könnte.

Es ist verständlich, dass politische Akteure ihre Unterstützung für demokratische Werte und Menschenrechte zum Ausdruck bringen möchten. Insbesondere in Fällen, in denen grundlegende Prinzipien und Freiheiten in Frage gestellt werden, verspüren politische Führungspersonen den Drang, ihre Stimme zu erheben und Solidarität mit der Opposition zu zeigen. Dies könnte als Ausdruck des Glaubens an universelle Werte und des Engagements für eine gerechtere Zukunft betrachtet werden.

Dennoch ist es wichtig, die möglichen Auswirkungen einer solchen Einmischung zu bedenken. Wahlempfehlungen aus dem Ausland könnten zu Reaktionen bei den Wählerinnen und Wählern führen, die sich von den politischen Entscheidungsträgern in Deutschland bevormundet fühlen könnten. Der Widerstand aus Trotz oder der Wunsch nach Unabhängigkeit könnten dazu führen, dass einige Wählerinnen und Wähler bewusst das Gegenteil von dem tun, was empfohlen wurde.

Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass eine starke Einmischung aus dem Ausland die innenpolitische Dynamik eines Landes beeinflusst und das Vertrauen der Wählerschaft untergräbt. Die Souveränität eines Landes sollte respektiert werden, und die Entscheidungen über politische Führungspersonen sollten vor allem von den Wählerinnen und Wählern im Inland getroffen werden.

Es ist daher wichtig, dass politische Mandatsträger die Balance zwischen dem Ausdruck ihrer Überzeugungen und dem Respekt vor den demokratischen Prozessen anderer Länder finden. Die Meinungsfreiheit ist ein grundlegendes Recht, aber auch die möglichen Konsequenzen einer Einmischung in einen Wahlprozess müssen bedacht werden. Eine verantwortungsvolle und respektvolle Herangehensweise ist erforderlich, um das Vertrauen in demokratische Prozesse zu wahren und den Wählern die Freiheit zu lassen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen – unabhängig davon, wie diese aussehen mögen.

Türkischer Präsident überrascht nach Vereidigung: Rückkehr eines angesehenen Ökonoms ins Kabinett

Ankara – Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat nach seiner Vereidigung am Samstag sein neues Kabinett vorgestellt – und dabei für einige Überraschungen gesorgt. Der erst 2018 von Erdogan aus dem Kabinett geworfene und international angesehene Ökonom Mehmet Simsek wird demnach wieder Finanzminister. Er hatte diesen Posten schon früher und galt bei internationalen Investoren als Garant für eine gewisse solide wirtschaftliche Entwicklung der Türkei, bis er von Erdogan durch dessen Schwiegersohn ersetzt wurde.

Die Türkei kämpft seit Langem mit einer kräftigen Inflation von offiziell rund 44 Prozent, und viele Experten machen dafür unter anderem die Politik Erdogans verantwortlich, der entgegengesetzt zur Standardlehre niedrige Zinsen für die Lösung hielt. Damit dürfte nun Schluss sein: Simsek gilt als Anhänger der konservativen Lehre und die Leitzinsen in der Türkei werden nun wohl kräftig steigen. Der Chef des Geheimdienstes MIT, Hakan Fidan, soll indes neuer Außenminister werden, Cevdet Yilmaz wird Vize, Yilmaz Tunc Justizminister, Generalstabschef Yasar Güler neuer Verteidigungsminister.

Mahinur Özdemir, die zuletzt türkische Botschafterin in Algerien war, wird neue Ministerin für Familien- und Sozialpolitik. Ali Yerlikaya, der fünf Jahre lang Gouverneur von Istanbul war, wird neuer Innenminister, Vedat Isikhan neuer Minister für Arbeit und soziale Sicherheit, Mehmet Özhaseki Minister für Umwelt, Urbanisierung und Klimawandel und Alparslan Bayraktar Minister für Energie und natürliche Ressourcen. Nur Gesundheitsminister Fahrettin Koca und Kultur- und Tourismusminister Mehmet Nuri Ersoy behalten ihre Ministerämter.

Weitere Kabinettsposten bekommen Osman Askin Bak (Jugend und Sport), Yusuf Tekin (Bildung), Mehmet Fatih Kacir (Industrie und Technologie), Ibrahim Yumakli (Landwirtschaft), Ömer Bolat (Handel) und Abdulkadir Uraloglu (Verkehr und Infrastruktur).

red